10:00 Uhr, ich versuche erfolglos, ein Taxi für 17:30 Uhr zu buchen. Denn ich habe eine Leinwand dabei (gerollt, 10 cm x 10 cm x 2,70 m) und obwohl diese problemlos in einen Kombi passt (wenn man sie zwischen die Vordersitze schiebt), weigern sich die diversen Taxiunternehmen mit verschiedensten Argumenten. Zusammenfassend in etwa „des geht net, weil des könnma fei net machen“. Danke :-)
Nun denn, ich bin für 18:00 Uhr gebucht – die Mutter der Auftraggeberin nimmt mich schliesslich in einem Honda Jazz (Gesamtlänge 3,90m) mit. Aha. Bei Ankunft nochmal ‚aha‘ – „Dance Hall“ heisst das erlesene Etablissement, in dem die Jugend beendet werden soll. „Dance Hall“ klingt – wenn man sie noch nicht gesehen hat – wie großer Parkplatz, laute Auspüffe, Lightshow, Bässe etc. „Dance Hall“ ist, wenn man sie gesehen hat, eine flache, fensterlose Torte in Hornbach-Bauweise mit brokatkitschigem, orientalischem Maximalambiente. Hey, das war nett!
Gut, wenigstens da – mit Leinwand. Immer noch 40°, Tendenz 41 (beim Passieren einiger Abendgarderoben). Die Torte wird doch nicht etwa… neeein, da könnten die ja im Sommer gleich dichtmachen. Ok, sie ist klimatisiert. Bis Punkt 18:00 Uhr, als alle Abiturientinnen + Familien anwesend sind. Ab da will man die Feiernden keinem erhöhten Erkältungsrisiko aussetzen und regelt auch drinnen auf 40° ein. Bestens!
Einschub Direktive: Die Familien wollen sich so gerne in Studio-Umgebung mit ihrem(n) Sprößlingen ablichten lassen. Also mobiles Studio aufbauen, gleich zu Beginn kommen dann die Familien nacheinander zu mir, 1-3 Aufnahmen, runter, nächste. Danach Feier dokumentieren. Zahl der Gäste erfragt… Antwort: 50. Geht ja. Ich hatte nach der Zahl der GÄSTE gefragt, die Antwort bezog sich jedoch auf die Zahl der ABITURIENTINNEN. Hmpf. Rechnen wir nach: 50 x niedrig geschätzte 3 Familienmitglieder = 150 Gäste! Und auf jeden Fall 50 Familien = bei (niedrig geschätzten) 2,5 Minuten/Familie mind. 2 Stunden Akkordarbeit ohne Atmen. Gebucht waren 3 Stunden insgesamt… Letztliche Gästeanzahl: 287.
Beim Betreten der Festivitäts-Räume im 1. Stock ein Schock. Da steht ein voll eingerichtetes Fotostudio! Juchuu? Jaaa…nein. Da steht nämlich auch jemand im Fotostudio. Und der steht da nicht einfach so, sondern hat eine Kamera in der Hand. Was soll das? Die „Dance Hall“ hat einen eigenen Fotografen – der hockt also wie eine Spinne in seiner Studio-Ecke und wartet auf Beute. Da den Mädels die 10,-€/Bild aber zu teuer waren, haben sie mich engagiert. Und ich werde jetzt von einem finsteren, bosphorischen Killer in eine Ecke geführt, die komplett (ja, auch der Boden) in gülden-rotem Brokatmuster gearbeitet ist. Dazu eine schwülstige Leuchte mitten auf der Wand, die als einzige hintergrundtauglich ist. Klein ist die Ecke auch.
Ich lege gerade die Leinwand ab – da stehen schon 7 Familien an… Ich schaue sie mir kurz an – keine Mami-Papi-Abiturientin-Konstellation, durch die Bank eher UrOmi-UrUrOpi-Onkel-Tante-Cousin-Freund-Oma-Mami-Papi-Pate-Geschwister-Abiturientin-Konsellationen. Vergessen wir die Leinwand, selbst 2,70m sind dafür zu schmal. Ich muss also der kunstvollen Wand die Ehre erweisen.
Auf der Bühne hat das Programm schon lange begonnen, aber der Strom der Familien reisst nicht ab. Nach 1,5 Stunden wird das Büffet eröffnet, die Schlange wird trotzdem nicht kleiner. Jetzt aber: der bosphorische Killer bedeutet mir, ich würde zu nahe am Büffet stehen, ich soll mich bitte auflösen oder selbst ermorden (vermutlich will er nur nicht seinen Arschani-Anzug schmutzig machen). Pause. Ich kann schnell im Gedanken ein Glas Wasser trinken während ich die Kamera umbaue und ein paar Aufnahmen der Feier mache.
Weit komme ich nicht, verzweifelte Familien werfen sich mir vor die Füsse und betteln um Aufnahmen – also zurück in meine Ecke, vergewissern, dass der Killer weg ist und weiter mit der Akkordarbeit. Durch die Zwangspause habe ich einige „Kunden“ an den feindlichen Hoffotografen in der gegenüberliegenden Ecke verloren – dämlich grinsend nimmt er sich in seinem klimatisierten Spinnennetz bedächtig Zeit zum Arrangieren und Gruppieren der fotohungrigen Sippen. Bei mir herrschen inzwischen durch die Studioblitze noch nicht tödliche 48°, dschungelähnliche Szenen spielen sich ab.
Als gegen 22:30 Uhr (= nach 4,5 Stunden) die Anfragen nachlassen, schiesse ich – topfit natürlich – noch ein paar Feier-Fotos und freue mich, dass ein Taxifahrer, den ich heute früh angerufen hatte jetzt zurückruft und mich trotz Leinwand abholen kann. Halleluja! Um 23:30 Uhr falle ich daheim durch die Tür.
Bilanz: knapp 2000 Aufnahmen und ca 4,5 kg Gewichtsverlust. Schön war’s aber :-)